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Aus dem Alltag eines Europäers in Kenia, den Erlebnissen bei der Organisation
des alltäglichen Lebens in der Hauptstadt Nairobi, erzählt der folgende
Beitrag. Doch auch Begegnungen und Beobachtungen auf Reisen durch die faszinierenden
Landschaften Kenias und seine ostafrikanischen Nachbarstaaten gehören zur Themenpalette.
Die Schilderungen reichen von den Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche, über das Sicherheitsproblem in einer der gefährlichsten Hauptstädte der Welt, bis zu einer Zahnbehandlung mit Hindernissen. Auch von einer Hexenstunde mit dem "witch-doctor" wird erzählt und davon, womit man bei einer Fahrt mit dem Matatu-Bus rechnen muß. Jörg Miszewski lebte von 1993 bis 1996 in Nairobi. Eine Künstlerbuch-Edition mit Originaldruckgrafik in limitierter Auflage mit dem Titel "Kirinyaga - Erinnerungen an Ostafrika" erschien zur Frankfurter Buchmesse 1998.
Der folgende Text stammt aus dem Vortrag "Alltag eines Europäers in Kenia"
Kirinyaga - Wo es Strauße gibt
Dunkel lockende Welt? Kirinyaga ist ein Wort aus der Sprache der Kikuyu, der größten kenianischen Volksgruppe. Es bedeutet soviel wie: Das Land, wo es Strauße gibt. Zugleich ist Kirinyaga der Name des Gottes, der die Kikuyu schuf und der auf dem Mount Kenia in den Central Highlands zu Hause ist. Er lebt dort recht friedfertig und beschaulich, ohne sich allzu sehr in die Belange seiner Menschen einzumischen. Erst wenn die Ahnen sich beschweren über zuviel Willfährigkeit und mangelnden Respekt der Lebenden, schickt er eine Dürre ins Land zur Strafe, oder eine Flut. Zeke Waweru, ein Kikuyu, der mir diese Geschichte erzählt, ist Dozent der School of Journalism, einer Fakultät der University of Nairobi. Er gehört zu den welterfahrenen Großstadtkenianern, er hat in Amerika und Großbritannien studiert. Den Aufstieg auf den Berg Kirinyagas, den Mount Kenya, hat Zeke Waweru bisher allerdings vermieden. Seine Begründung, begleitet von einem verschmitzten, sympathischen Lächeln: Er wird schon irgendwann - und dann immer noch früh genug - seinem Gott die Hand schütteln... Ostafrika zwischen Moderne und Tradition. Kenia - ein Land der Widersprüche? Ich wende mich im Folgenden einem etwas modifizierten Thema zu: Alltag eines Europäers in einem Land der Widersprüche, in eben diesem Kenia. Alltag in einer dunkel lockenden Welt?
Stolze Askaris und ein singender Koch Wir hatten zwar keine Farm, aber wir hatten ein Haus in Afrika. In der Nähe der Ngong Berge. Es liegt im grünen Tal des Nairobi River in den Westlands, keine zehn Autominuten von Downtown Nairobi entfernt. Ich erinnere mich an die Menschen, die uns in diesem Haus begegnet sind in den Jahren von 1993 bis 1996. Journalisten, Geschäftsleute, Handwerker und andere Besucher. Gäste aus Europa und vor allem liebe Freunde. Ich erinnere mich an unsere kenianischen Hausangestellten, die auf unserem Grundstück lebten, in den sogenannten Servants Quarters am küchenseitigen Hausbereich. Unser dichtender Koch Samuel, der als eine Art Sekretär seiner christlichen Gemeinde selbstkomponierte Kirchengesänge in Kisuahili verfaßte und sie mit derartiger Inbrunst und Lautstärke einstudierte, dass unsere indischen Nachbarn sich zuerst erschraken und danach beschwerten. Mit Margret, unserer housemaid, erlebten wir hier den mutmaßlichen Einsatz eines 'witch-doctors', gewissermaßen eine kleine Hexenstunde. Da sind auch Joseph, vom Stamme der Luo und William vom Volk der Kisii am Viktoriasee, die sich vor einigen Jahren als Guards, als Wächter bei der Firma Securicor in Nairobi verdingten. Nun sind sie bei uns, als unsere Askaris in ihren blau-roten Uniformen. Sie blicken stolz unter ihrer Schirmmütze hervor und tragen ihre rungus, das sind stahlharte Holzknüppel, um uns und unser Haus rund um die Uhr zu beschützen. Auch von ihnen wird noch die Rede sein. Auch erinnere ich mich genau an das Lachen des vielleicht zehn Jahre alten Straßenjungen vom Uhuru Highway, der Straße der Unabhängigkeit. Auf Krücken kopeistert er zwischen den Autos umher, die in vier, manchmal fünf Reihen ungeduldig im Stau warten. Er bettelt um ein paar Shilling. Seine fröhlichen Augen, sein immer freundliches Gesicht, seine bescheidene Haltung, wenn er den Stumpf seines rechten Beines auf seinem Krückstock abstützt. Bald grüßt er mich und winkt meinem Toyota im Strom der Autokolonne nach.
Öffentliches Leben Ich erinnere die vielen Begegnungen und Erlebnisse auf unseren Reisen durch die verschiedenen Länder Ostafrikas. Die fünfköpfige Familie in Antananarivo auf Madagaskar, deren normaler Familienalltag sich unter freiem Himmel abspielt, unter dem sie nächtigen, mitten in der Hauptstadt des Landes, in der sie leben, in der etwas abseitigen Ecke eines öffentlichen Platzes, die ihr ganzes zuhause, ihr ganzes Privates ist. Ich erinnere mich auch an die Einladung zum Dinner in das Haus eines damaligen Ministers des benachbarten aufstrebenden Inselstaates Mauritius. Sein Fahrer holt uns im Hotel ab mit einer nagelneuen deutschen Luxuslimousine. Er rast mit uns durch die engen Gassen der Inselhauptstadt, so dass alles was Beine hat oder Räder, oder was nur irgendwie beweglich ist, beiseite springt, rollt, fällt, klappt und spritzt. Und ich hoffe in diesem Rausch der Geschwindigkeit nur, dass wir irgendwann irgendwo, egal wo, jedenfalls irgendwie endlich ankommen.
In der Wüste ist Sand Da sind auch die Erinnerungen an unsere Reisen nach Uganda im Westen und zum südlichen Nachbarn Kenias. Zum Beispiel der Aufenthalt im Haus unseres Freundes Gerhard in Tanzania. Gerhard ist seit fast zwanzig Jahren in verschiedenen Ländern Afrikas im Entwicklungsdienst unterwegs. Gerhard hat die Quintessenz dieser Erfahrungen in einem selbstkreierten Spruch zusammengefaßt, er lautet: In der Wüste ist Sand. Was immer das bedeuten mag - das Haus von Gerhard jedenfalls liegt am Palmenstrand in einer traumhaften Bucht, mit Blick auf das etwa acht Kilometer Luftlinie entfernte Zentrum von Daressalam. Dort drüben hat Gerhard sein Büro. Hier ist sein Haus, und so kommt es angesichts der Verkehrsverhältnisse des öfteren vor, dass Gerhard den schnelleren Weg zu seinem Arbeitsplatz wählt, nämlich per Surfbrett über den indischen Ozean. Arbeitstalltag eines Europäers in Afrika, wie gesagt - in der Wüste ist Sand. Und dann das Reisen selbst: Zum Beispiel ein Flug mit Ethiopian Airlines von Addis nach Abidjan via Nairobi. Die Maschine ist völlig zugestopft mit Menschen, mit Kisten, Säcken und anderen Gepäckstücken. Auf dem Flug in zehntausend Metern Höhe bittet die Stewardess die Passagiere auf den Gängen mit absoluter Höflichkeit, sie möchten doch bitte ihre Zigarettenkippen nicht mehr auf dem Fußboden austreten, und reicht eine Tasse als Aschenbecherersatz. Oder der Rückflug von Daressalam mit Tanzania Airways, bei dem der Beifall der Fluggäste aufbrandet, weil der Kapitän der Uralt-Boeing sich über den Kabinenlautsprecher bei dem Passagier bedankt, der Sekunden vor dem Start entdeckt hat, daß eine der Tankklappen noch nicht geschlossen war.
Alltag als Methode - vielleicht ein bißchen Heimat? Ich habe bis jetzt nur ein paar Erinnerungen geschildert, querbeet aus Ostafrika. Alltag eines Euopäers in Afrika - ich möchte fast behaupten, den gibt es so nicht. Zwar kommt auch in Nairobi der Strom gewissermaßen aus der Steckdose. Die Alltagseinkäufe führen in den Uchumi Supermarket, oder in den Health Shop, eine Art Reformhaus. Geschäfte und Läden, die in einem der zahlreichen Shopping Centres zu finden sind. Doch schon beim wöchentlichen Gang auf den Local Market, zum Kauf von Obst und Gemüse, bietet sich ein immer wieder neues exotisches Bild: Die Menschen, die sich zur Mittagszeit an den dampfenden Garküchen des Marktes einfinden, um eine Portion Ugali und Stew zu sich zu nehmen, einen Maisbrei, der mit einer Art Goulasch verzehrt wird. Die Jua-kali-workers, Handwerker, die unter freiem Himmel etwa aus alten Autoreifen oder Blechfässern alles Mögliche herstellen und zum Verkauf anbieten. Oder der Zigarettenverkäufer, der in seinem winzigen Büdchen hockt und die Zigaretten der Marke 'Sportsmen' zu zwei Shilling das Stück anbietet. Wo liest man schon in der Zeitung über die Bildung einer Elterninitiative, weil Kinder auf ihrem Schulweg regelmäßig von Elefanten bedroht werden. Und wo kann man fünfzehn Minuten von zuhause entfernt bereits echte Safarigefühle entwickeln, wenn man an die freilebenden Giraffen, Löwen oder Nashörner im Nairobi National Park denkt. Sei es die Gestaltung eines Arbeitsbereiches oder sei es die Organisation des täglichen Lebens und seiner Erfordernisse. Vieles bleibt so anders, so unbekannt und faszinierend, skurril und oft so erschütternd zugleich. Alltag wird für viele Ausländer, also auch für uns Deutsche in Nairobi, gelegentlich zum Instrument. Eine Methode, um mit diesen Eindrücken, Herausforderungen und auch mit den Bedrohungen fertig zu werden, die der längere Aufenthalt in Schwarzafrika mit sich bringen kann. Alltag als Wunschvorstellung, für die einen ein bißchen Halt, für manche vielleicht ein bißchen Heimat? Ich möchte im Folgenden von einigen Begegnungen und Erlebnissen erzählen, die dieser Alltag mit sich bringt.
II. Auf Safari in menschenleeren Weiten
Verlorene Wege in Tsavo-West Ich habe von Faszination gesprochen und auch von Bedrohungen, von Herausforderungen. Also doch: Abenteuer Afrika? Bei einer Safari im Nairobi-Nationalpark hält sich dieses Abenteuer gewiß in Grenzen, wenn man sich als erstes davon überzeugt, dass nicht ausgerechnet im Gebüsch hinter Ihrer Picknick-Site eine hungrige Löwenbande herumlungert. Auch müssen Sie hier bei einer Autopanne nicht tagelang auf Suchflugzeuge warten. Doch was ist in den dünnbesiedelten Gebieten auf dem Land, in den menschenleeren Weiten der Savanne? Ich möchte dazu von einer Expedition, von einer Safari in den afrikanischen Busch erzählen. Stellen Sie sich einfach vor, Sie fahren mit einem Geländewagen seit Stunden über Vulkangestein, durch vertrocknete Flußläufe und Dornengestrüpp in einer weiten staubigen Landschaft. In aller Frühe haben Sie Nairobi auf der Mombasa Road in Richtung Süden verlassen. Mtito Andei, wo Sie nach Südwesten zur tanzanischen Grenze abgebogen sind, liegt als letzte bewohnte Ortschaft schon Stunden zurück. Fast hundert mühsame Kilometer, zum Teil in Schritttempo durch menschenleere Wildnis. Ständige Zweifel über den Verlauf der Piste, deren Spur sich immer wieder in Sandverwehungen verliert. Die Karte liegt schon längst beiseite, einige der in ihr verzeichneten Straßen existieren hier in Tsavo-West nicht mehr. Als Orientierung dienen die Chyula-Berge im Norden und die sich immer schneller dem Horizont neigende Sonne.
Die Nacht gehört den Tieren der Wildnis Den ganzen Tag über sind Sie begleitet von den mißtrauischen Blicken der wilden Tiere. Wie in Zeitlupe flüchten turmhohe Giraffen mit majestätischen Bewegungen vor den Motorgeräuschen. In der flimmernden Hitze weidet eine Herde von vielleicht vierzig, fünfzig Elefanten. Einige fühlen sich gestört, so dass Sie die Herde nur sehr vorsichtig passieren. Büffel stehen wie schwarze Tupfer in der Ebene unter dem Horizont. Raubkatzen haben Sie nicht gesehen, nur ein paar Hyänen. Aber sie sind da, man kann sie heraushören mit ihrem Gebrüll, jetzt im Klangteppich der nahenden afrikanischen Dunkelheit. Die Nacht gehört den Tieren der Wildnis. Die Entscheidung ist gefallen: Man übernachtet an den Hippo-Pools, einer Staufolge von fünf natürlichen Wasserbecken direkt an der Grenze nach Tanzania. Sie sind von Krokodilen und Dutzenden von Flußpferden bevölkert. Das Hippopotamus ist das gefährlichste Tier Afrikas, ihm fallen jährlich mehr Menschen zum Opfer als den Löwen oder Elefanten, so wird erzählt. Nach der Dämmerung verlassen die Tiere ihre Gewässer zur Nahrungsaufnahme in der Kühle der Nacht. Nur wenige Meter von Ihrem Nachtlager und dem Ihrer Begleiter entfernt, getrennt nur durch dünnes Zeltleinen, hören Sie das Grasrupfen der Kolosse. Doch immerhin, es heißt beruhigend, es sei noch nie einem Flußpferd gelungen, den Reißverschluß eines Safari-Zeltes zu öffnen. Außerdem bewachen erfahrene Askaris Ihr Lager. Mit Pfeil und Bogen bewaffnet, sollen die kenianischen Wächter Sie auch vor tanzanischen Gangsterbanden beschützen, die hier im Niemandsland des Grenzgebietes ihr Unwesen treiben.
Plötzlich und unerwartet: Schritte in der Finsternis Doch bevor Sie sich zur Nachtruhe zurückziehen, serviert man Ihnen den obligatorischen Sundowner mit Blick auf die wilden Tiere am Wasser. Bei Gin-Tonic oder einem Glas Whiskey verlieren sich die Gedanken an die Strapazen der Safari durch diese unwirtliche Landschaft. Das Busch-Dinner ist angerichtet auf kostbarem Porzellan und Tafelsilber. Der Wein wird kredenzt in Gläsern aus schwerem Bleikristall und aus der Dunkelheit, so scheint es jetzt, weht der Wind ein paar Takte klassischer Musik herüber, Mozartklänge wie aus einem alten Grammophon. Plötzlich und unerwartet: Schritte in der Finsternis. Nur mühsam entziffern Sie gegen den Nachthimmel menschliche Konturen, aus denen nur das Weiß der Augen herausleuchtet. Bedrohlich nähert sich ein unbekanntes schwarzes Gesicht. Die Nerven sind bis zum Zerreißen gespannt. Wo, zum Teufel stecken die Askaris? Dann geht alles ganz schnell: Zielsicher bewegt sich die Hand des Unbekannten, sie zielt auf Ihren Körper. Eine tiefe Stimme schallt aus der Nacht: "Jambo and Good Evening, Sir!" Die geheimnisvolle Hand präsentiert den Kassenzettel, auf dem man die Drinks des Abends quittieren muß. Es gibt sie noch, die Gefahren des Buschlandes in Afrika, zumindest mit ein bißchen Phantasie im Urlaubsalltag eines Europäers in Kenia. Doch die Requisiten dieser Geschichte und die Landschaftsbeschreibungen sind echt. Im "Finch-Hattons", einem der landschaftlich schönsten Zeltcamps Kenias, hat sich eine deutsche Gastronomen-Familie ihren Traum und den ihrer Gäste erfüllt. Weder Gitter, Gräben noch Elektrozäune trennen die Besucher von der Wildnis des Tsavo-Parks. Die bequemere Art der Anreise von Nairobi per Klein-Flugzeug dauert vielleicht eineinhalb Stunden. Und wenn man angesichts des beschriebenen Luxus in dieser Wildnis von Dekadenz sprechen will, so mag man das tun, das mag auch richtig sein, sicherlich genauso richtig, wie die Einmaligkeit, afrikanische Natur und die Atmosphäre dieses Ortes solcherart zu erleben und zu genießen.
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