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V. Gesichter und Geschichten aus Afrika

 

Auf der Flucht: Ein Gärtner mit Vergangenheit

Ach ja, wenn Sie gestatten, John Whisky, das bin ich. Beziehungsweise ist das einer der zarten Versuche der Einheimischen, sich der Schreibweise und Aussprache meines Namens, Jörg Miszewski, anzunähern. Eines Tages erhielt Mr John Whisky nämlich einen Brief von einem unserer Wächter, der mit Vornamen ausgerechnet Aloice hieß. Aloice, Loisl, bat mich in diesem Schreiben darum, seinem Sohn Alfred einen Job als Shamba-Boy zu geben. Shamba-boys sind so eine Art Gärtner.

Alfred war etwa 30 Jahre alt und wir haben ihn schließlich aufgrund der Empfehlung seines Vaters Aloice mit einer Probezeit als Gärtner eingestellt. Nach einigen Wochen mußten wir ihn jedoch entlassen, weil er verschiedene Verfehlungen beging, die wir vor den Augen unserer anderen Hausangestellten nicht durchgehen lassen konnten.

Später dann stellte sich übrigens heraus, dass Alfred gar nicht der Sohn von Aloice gewesen ist, und Aloice auch nicht sein Vater. Und es stellte sich auch heraus, dass Alfred zuvor niemals als Shamba-Boy oder Gärtner gearbeitet hatte. Er war im Hauptberuf vielmehr der Führer einer christlichen Gemeinde auf dem Lande. Sein Aufenthalt in Nairobi war eher eine Station seiner Flucht, und die Arbeit bei uns eher eine Tarnung, weil die Angehörigen seiner ehemaligen Gemeinde ihn wegen einiger Unregelmäßigkeiten in der Geschäftsführung und auch wegen seiner polygamen Lebensführung zu fassen kriegen wollten.

Bei seinem Abschied von uns - oder besser gesagt - bei seiner Kündigung vergaß Alfred nicht, irgendeinen Segen - oder besser gesagt - irgendeinen Fluch auf uns anzuwenden. Und er ließ uns schließlich in der Erkenntnis zurück, dass seine eigenwillige Gartengestaltung keineswegs ein Zeichen kreativen Talents gewesen war, sondern schlichte Unkenntnis dieses Metiers.

 

Wie ein Spuk mit Lederkoffer

Die Geschichte mit Alfred, dem angeblichen Shamba-Boy, war nicht die einzige denkwürdige Begegnung auf unserem Grundstück. Auch andere versetzten uns bisweilen in Erstaunen, sogar unsere fleißige housemaid Margret. Margret kränkelte bisweilen ein wenig, und eines Tages mußte ich mit ihr zum Arzt fahren. Er stellte eine fiebrige Erkrankung der Atemwege fest, die sich als sehr hartnäckig erwies. So mußte Margret, versorgt mit Medikamenten, für einige Zeit das Bett hüten. Nach ein paar Tagen ließ sie mich fragen, ob sie Krankenbesuch von ihren Cousinen empfangen dürfe.

Selbstverständlich war es ihr gestattet, und so kam es, dass wenig später Wächter Joseph mir bescheid gab: Besucher für Margret stehen vor dem Tor. Ich sagte ihm, das sei in Ordnung und er möge sie doch bitte hereinlassen. Als ich aus der Haustür kam, um die Besucher persönlich zu begrüßen, da sah ich gerade nur noch, wie sieben oder acht Frauen in langen Gewändern mit einem riesigen, geheimnisvollen Lederkoffer wie ein Spuk über unseren Hof huschten, allesamt in der kleinen Kammer von Margret verschwanden und eilends die Tür hinter sich zuzogen.

Nun muß ich sagen, dass Margret immer eine eifrige Kirchgängerin gewesen ist, die dieser christlichen Pflicht jeden Sonntag nachkam. Und weil wir durch die selbstverfaßten Kirchenlieder unseres dichtenden Kochs Samuel bereits einiges gewohnt waren, erschreckten mich auch die Gesänge zunächst nicht, die bald darauf aus Margrets Zimmer zu hören waren.

Im Verlaufe des Besuches der Cousinen steigerte sich allerdings die Lautstärke und es veränderte sich der Rhythmus der Gesänge derart befremdlich, dass dadurch meine Aufmerksamkeit geweckt wurde. Melodischen Klängen folgte plötzlich ein irres Gekreische, auf dunkles Gemurmel folgten laute Klatsch- und Knallgeräusche, die ich bis heute nicht zu identifizieren weiß. Offenbar angelockt von diesen seltenen Tönen auf unserem Grundstück versammelten sich inzwischen bei Joseph vor unserem Tor bereits einige Wächter der umliegenden Häuser, und sie gerieten ganz offensichtlich in so eine Art Fachsimpelei.

 

Ein Witch-Doctor auf Hausbesuch?

Dieser ganze seltsame Vorgang zog sich über zwei drei Stunden hin, bis Joseph schließlich am Haupthaus klingelte und mir von Margret ausrichten ließ, ich möge ihr doch bitte ihre Fleischration aushändigen, die bei uns im Gefrierschrank lagerte. Sie wolle ihren Besuch verköstigen. Margret bevorzugte damals chicken wings, also Hähnchenflügel, und ich habe es mir aufgrund einer gewissen Sorge nicht nehmen lassen, sie ihr persönlich zu bringen.

Da saßen nun sieben bis acht Frauengestalten in der stickigen Kammer um Margrets Bett herum, als könne sie kein Wässerchen trüben. Der Lederkoffer stand verschlossen in einer Ecke. Margret, die vor dem Besuch noch wie ein Häufchen Elend aussah, saß jetzt wie in Trance auf ihrem Bett und glühte wie ein Grillanzünder. Als sie mich dann doch zur Kenntnis nahm, freute sie sich, daß ich ihr die "kitchen wings", die "Küchenflügel" vorbeibrachte. "Margret" sagte ich ruhig zu ihr, "das sind keine kitchen wings, das sind chicken wings." Unversehens brach sie daraufhin in ein irres Gelächter aus, das ich noch nie von ihr gehört hatte. "Kitchen-wings, kitchen wings", stammelte sie zwischendurch immer wieder, und lachte, bis ihr die Tränen kamen. Die versammelten Cousinen beobachteten das Ganze mit eisernem Schweigen.

Nach ihrer Genesung ein paar Tage später, habe ich Margret streng und direkt gefragt, ob sie damals Besuch gehabt habe von einem witch-doctor, einem Hexen-Doktor. Es ist das einzige Mal gewesen, dass ich gesehen habe, wie sie innerlich erschrocken war. Nein, nein sagte sie schnell, das seien doch ihre Cousinen gewesen, mit einem witch-doctor habe sie nichts zu tun, und wollte sich unverzüglich wieder ihrer Arbeit zuwenden. Zuvor mußte sie mir aber noch versprechen, in jedem Fall die Medikamente aus dem Krankenhaus weiter einzunehmen. Sie versprach es, und wir nahmen es erleichtert zur Kenntnis, dass Margret nach ihrer Gesundung ihre regelmäßigen Kirchgänge wieder aufnahm.

 

Zahnbehandlung mit Hindernissen

Zur medizinischen Versorgung allgemein läßt sich übrigens sagen, dass zum Beispiel das Nairobi Hospital, in dem wir auch Margret behandeln ließen, einen sehr guten Standard bietet, der sich durchaus mit europäischen Maßstäben messen läßt. - Sofern man ihn sich leisten kann. Eine kostenlose Grundversorgung der kenianischen Bevölkerung wurde von der Regierung auf Druck der Weltbank zurückgenommen. Behandlung nur gegen Cash.

Ich selbst war gezwungen mich einigen Zahnbehandlungen hinzugeben, bei Mrs. Satchdeva, einer in Großbritannien ausgebildeten jungen Zahnärztin, die aus Malaysia stammte und die mir empfohlen wurde. Auch hier hatte ich immer ein dickes Geldbündel in der Tasche, das ich v o r der Behandlung ablieferte. Der Zahnarztstuhl war zwar etwas älter, aber funktionstüchtig, die Praxis zwar etwas klein, aber sauber, die Behandlung selbst war meist kurz und schmerzlos.

Dabei meine ich aber nicht, dass Mrs Satchdeva kurzen Prozeß machte, auch hier durchaus europäisches Niveau. Nur einmal hat mich im Zahnarztstuhl ein leichter Schauer gepackt, als nämlich mitten in der Behandlung für längere Zeit der Strom ausfiel. Das kam in Nairobi aber selten vor.

 

Effektives Chaos bei der Power Company

Einmal allerdings bereitete mir der örtliche Energieversorger, die Kenya Power and Lighting Company "KPLC", gewisse Kopfschmerzen:

Ich erhielt nämlich diese zwei Briefe dieses Unternehmens, die mich mit gleicher Post am gleichen Tag erreichten. Wobei das eine Schreiben die diesmal ein wenig überhöhte Stromrechnung enthielt, der andere Brief hingegen ausdrücklich davor warnte, diese Rechnung zu bezahlen. Man ermittele wegen extensiven Stromverbrauchs nach Fehlerquellen in der Abrechnung.

Mein europäisch geschultes Mißtrauen ließ mich natürlich sofort vermuten, dass man in einer dritten Abteilung der KPLC, deren vornehme Aufgabe es ist, säumigen Zahlern den Strom abzudrehen, möglicherweise keine Ahnung hätte von diesem Vorgang. So eilte ich sofort zur KPLC-Zentrale, wo ich meine Bedenken jedoch keineswegs ausgeräumt sah:

Hunderttausende dieser Din-A-5 großen, computererstellten Rechnungsdrucke müssen es gewesen sein, die dort herumlagen. Nicht etwa nur in Archivschränken, auf Schreibtischen oder in Ablageschalen. Nein, nein. Auch in Papierkörben, auf dem Fußboden, unter den Tischen, auf den Fluren, nahezu alles war übersät von diesen Rechnungen, als habe eine kräftige Windböe durch die Büros geweht.

Angesichts der fensterlosen Räume kam mir das jedoch etwas weit hergeweht vor. Und ich muß voller Anerkennung sagen, dass die Abrechnungen immer gestimmt haben. Und vor allem, dass die Abrechungen immer verständlich zu lesen waren.

 

Afrika mit anderen Augen

Die hier erzählten und viele andere Erinnerungen aus unserem sogenannten Alltag in Kenia sind mir beim Schreiben dieser Zeilen wieder so frisch ins Gedächntins gerufen worden.

Mir haben die Erlebnisse und die Erfahrungen in den drei Jahren Afrika bei allen Problemen vor allem eines gezeigt: Ein anderes Gesicht Afrikas, eines, das in unseren Medien in der Regel keinen Nachrichtenwert besitzt. Es ist das Gesicht von hoffnungsfrohen und freundlichen Menschen, mit ihrem Humor und ihrer Gastfreundschaft, ihrer Schaffenskraft und Hilfsbereitschaft. Damit sollen und können die Not und die kriegerischen Grausamkeiten nicht beiseite geschoben werden, die uns von diesem Kontinent berichtet werden.

Aber es gibt dieses andere Gesicht Afrikas. - Es ist vielleicht wie das freundliche Gesicht des Straßenjungen vom Uhuru-Highway, der Straße der Unabhängigkeit, aus dem Freundlichkeit aber auch seine Hoffnungen für eine bessere Zukunft herauslächeln. Seinen Gruß, wenn er damals meinem Toyota im Strom der Autokolonne nachgewinkt hat. Seine fröhlichen Augen. Nie habe ich ihn nach seinem Namen gefragt.

 


 

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